Nach den langen Jahren, in denen beim Verkaufen vor allem harte Argumente zählten, zeichnet sich mit dem Trend zum Sozialen, Persönlichen und Herzlichen eine regelrechte Bewegung ab: "Show me – don‘t tell me!" Lass mich spüren, was Du kannst! "Kundenzentrierung" ist das Schlagwort der Stunde (und sollte im Grunde immer schon eine Selbstverständlichkeit gewesen sein …). Es beschreibt all die Bemühungen, mit denen Kunden durch besondere Produkte, Services und verkaufsbegleitende Maßnahmen unvergessliche Markenerlebnisse beschert werden sollen, die sie wirklich berühren und ihnen zu Herzen zu gehen. "Das Herz hat seine Gründe, die der Verstand nicht kennt." Meint Blaise Pascal, Allroundtalent, erste Hälfte 17. Jahrhundert, Markenerlebnismacher-Pionier. Es stimmt: Wer emotional stimuliert wird, ist er besonders offen für Neues und kauffreudiger. Die Kognition braucht der Kunde lediglich dafür, seine emotionalen Kaufentscheidungen im Nachhinein zu rechtfertigen. Was amerikanische Topmarken wie Coca-Cola (die Weihnachtstrucks!) und Apple (die Stores!) seit Jahren exzellent verstehen, hat sich bis Europa herumgesprochen: Wer inszeniert, gewinnt.

Nespresso lässt sich seine weltweiten Flagship-Stores eine Riesenstange Geld kosten. Sie nennen sie Boutiquen, halt nur für Kaffee, dabei sind sie viel größer als das, was man landläufig darunter versteht: Luxuskaufhäuser in den teuersten Lagen der schönsten Fußgängerzonen dieser Welt, extrem großzügige Ladenflächen, teurer Parkettboden, naturfrohes Personal. Und Kaffeekapseln, die ikonenhaft, Kunstwerken gleich inszeniert sind. Der Deckungsbeitrag pro Quadratmeter wird nicht gesondert ausgewiesen; die kopfgesteuerten Controller bei Nestlé würden schreien, aber nicht vor Glück. Man macht es trotzdem so und nicht anders – weil es gar nicht ums Kaffeeverkaufen geht. Sondern um die Inszenierung eines hochattraktiven Lebensgefühls: Nespresso trinken ist zeitgemäßer Eskapismus. Raus aus dem Alltag, rein in die Genießerwelt. Dieser Moment, wenn die Crema-Krone wieder so viel schöner wird als früher mit dem Vollautomaten von Jura! In diesem Stimmungs-Hoch betritt man die Nespresso-Boutique, lässt die H&M-Tüten los und genießt den Anblick Tausender schimmernder Kapseln und ihrer umwerfenden Verkäufer.

Das MoMa in New York für jeden, für jeden Tag. "What else" braucht es im Leben? "Kaffeekonsum als Vehikel für sozialen Austausch und gemeinsame Erlebnisse", sagt Prof. Sven Henkel von der EBS Universität. Mit Wildfremden spricht es sich nun mal formidabel über die optimale Geschmacksrichtung für den bevorstehenden Anlass. Was für ein starkes Conversation Piece! Berauscht von der Produktbeschreibung ("Im Herzen von Äthiopiens üppiger Landschaft haben die Nespresso-Experten zwei sehr unterschiedliche Arabicas auserlesen, um diesen neuen Pure Origin Grand Cru mit überraschend wilden Noten von Moschus und Holz zu kreieren …"),  nimmt man eine Zehnerschachtel hier, eine Zehnerschachtel da; bekommt an der Kasse eine gleichermaßen schöne Papiertasche mit farblich abgestimmter Tragekordel; fährt beschwingt nach Hause; und ordert sehr bald online Ware nach. Die Boutique im Netz kommt dem Erlebnis in der Offline-Realität schon erstaunlich nahe. Worum geht‘s noch mal? Ach ja, um ordinären Kaffee. Und darum, wie man mit Customer Centricity, wird sie so kompromisslos aufgesetzt und gelebt wie hier, 80 Euro Umsatz macht mit einem Kilo Kaffee – und der Kunde liebend gerne zahlt.

Was da geht, geht auch mit Finanzprodukten, Metallbau und Kniebandagen. Es gelingt denjenigen, die ihre Kunden zuerst meisterhaft verstehen und dann in eine Welt eintauchen lassen, die sie so emotional so sehr berührt. Wo das Herz sitzt, sitzt der Kauf-Knopf.