Regionalität schafft Identität. Die naheliegende Art, wie die Markenartikelindustrie auf "Herkunft" macht, führte zu Folgendem: Die spanischen Olivenöl-Produzenten werden von ihren Produkten nicht genug los, man kauft einfach lieber Öl aus Italien. Lange fuhren die Spanier das, was übrig blieb, im Tankwagen nach Italien und zogen es dort auf Flaschen. So konnten sie es als "italienisches Olivenöl" verkaufen – und ein sattes Preispremium erzielen. Wegen der neuen europäischen Rechtsordnung geht das nicht mehr, doch man darf annehmen, dass – auch in ganz anderen Bereichen – immer noch ein bisschen was von dem geht, womit man mit einem tolleren Etikett auf deutlich weniger Inhalt deutlich mehr verdient. Inzwischen sind die Spanier aufgewacht: Die viel größeren Meister der Produktion treffen auf die italienischen Dauermeister im Marketing. Olivenölfirmen beider Länder schlagen nationalistische Töne an und werfen sich gegenseitig Panscherei war. Jetzt will sogar einer beides, die Menge und den Preis: Der spanische Konzern De Oleo expandiert groß in Italien und bringt das Gleichgewicht endgültig durcheinander. Wer kann da verlässlich nachvollziehen, was woher kommt, was wo drin ist und was wie heißt? Selbst der Ölsommelier tut sich zusehends schwer.

Schade, dass Oliven nicht sprechen können. Viele könnten was erzählen von der langen Reise … Die Marke als Herkunftsbezeichnung ist in Gefahr! 

Wer keine lange Geschichte hat und weder Champagner produziert noch Dresdner Christstollen noch Parmigiano Reggiano (bei diesen Produkten funktioniert der so vertrauensweckende geografische Heimatbezug noch), kann sich wenigstens darauf verlassen, dass "Made in Germany" was zählt in der Welt; genauso wie "Made in Austria" und "Made in Switzerland". Aber auch hier will man nicht so genau wissen, dass nicht alles ist, wie es scheint: Wie groß muss die Fertigungstiefe (der im angegebenen Ursprungsland erbrachte Anteil an der Wertschöpfung des Produkts im Verlauf der Herstellung) nochmal sein, damit gesagt werden darf, es sei dort hergestellt? Egal – das gute Gefühl bestimmt. Wahre Herkunftsgeschichten wie die vom Porsche Cayenne made in Germany, maßgeblich hergestellt im Volkswagen-Werk in Bratislava und damit ein echter Slowake, bereichern zwar die eine oder andere Stammtischrunde altgedienter Marketeers. Doch was soll’s: Die Marke Porsche ist so stark und das Marketing so clever, dass der Mann von Welt zu gern den slowakischen Cayenne aufs Golfgreen steuert – und etliche tausend Euro mehr dafür bezahlt als für den weitgehend baugleichen VW Touareg aus derselben Fabrik.

Andere, die auch mit ganz viel Leidenschaft exquisite Produkte herstellen, aber leider in der falschen Region, kriegen einfach kein Bein auf den Boden: Das Château Vartely macht so berühmte wie preisgekrönte Weine. Aber das Weingut ist in Orhei, Moldawien. Die Russen wollen die exquisiten Produkte nicht mehr, weil Moldawien in die EU strebt. Und die Europäer haben sie nie gewollt, weil Orhei nicht in Frankreich ist. Dieser Wein schmeckt nur dann ganz ausgezeichnet, wenn der Kellner beim Einschenken das Etikett verdeckt. Und wenn man es doch sieht, schmeckt moldawischer Merlot  wie er nur schmecken kann – grottoid. Da können sie in Orhei noch so gute Böden und so viel Sonne haben, so viele deutsche Ausbildungszertifikate in Weinbau und Önologie und westeuropäische Rebstöcke eingeführt und angepflanzt. In der Blindverkostung haben ihre Produkte beste Chancen aufs Treppchen. Aber wenn der Ursprung und damit die Werbung und die unauslöschlichen Bilder im Kopf im Spiel sind, entscheidet nicht erst der Gaumen. Lange zuvor entsteht beim sogenannten Etikettentrinker die Leidenschaft im Herzen, genauso wie seine lebenslange Abneigung gegen Unbekanntes, Untrendiges, irgendwie Verdächtiges. Osten schmeckt nun mal nicht. Deshalb kostet der 2008er Merlot vom Château Vartely 2,83 Euro und nicht 28,30 Euro. Und die Winzer sollten überlegen, ob sie ihrem Traubenmost zum Keltern ins Bordeaux fahren …